Inspiration vs. Imitation

Unfertige Gedanken…
Ein paar Gedanken zur Originalität und Authentizität von dem, was wir so produzieren, zeigen und anbieten …
Vorbemerkung I
Ich beziehe mich in meinen Gedanken hier und da auch auf Lektüren… zum Beispiel von David du Chemin, dessen 4 Bücher ich in den letzten 5 Jahren wohl mindestens 4mal erneut in die Hand genommen habe (und immer wieder neue Impulse fand). Von Ibarionex Perello (mit dessen Buch es mir genauso ging). Und natürlich fließen auch Lektüren zahlreicher anderer Bücher zum fotografischen Sehen-Lernen, wie zum Beispiel von Mary Ellen Mark, hinein.
Mit Lesefrüchten ist das wie mit dem Bildgedächtnis… man speichert sie irgendwo ab, vergisst sie, und irgendwann tauchen sie wieder auf. Dann denkt man sie weiter und immer weiter… Und sie werden zu Anreicherungen der eigenen Gedanken. Und irgendwann denkt man, es seien die eigenen Gedanken. Das sind sie auch. Nur sind sie halt auch gespeist von anderen Gedanken.
Vorbemerkung II
Es geht mir in meinen Gedanken hier nicht um Bilder-Klau. (Durchaus eine interessante Frage in Zeiten von AI, wo man vermutlich einen Nachbau jedes ikonischen Fotos beauftragen kann.) Nein, darum geht es mir hier nicht. Plagiieren ist, die Arbeit eines anderen als die eigene auszugeben.
Und ich meine: Eine perfekte Kopie gelingt sowieso nicht, das Original ist immer besser. Und das Original ist als solches auch immer zu erkennen. (Ich erinnere das aus den Zeiten als ich noch Handtaschen-Fan war sehr gut).
Mir geht es um die Frage der Weiterentwicklung und Anreicherung dessen, was wir gesehen, erlebt und erfahren haben, im Repertoire unseres eigenen Portfolios. Denn – so sehe ich das inzwischen – es gibt nichts, was nicht schon einmal gedacht, versucht oder realisiert wurde… nur nicht in der Form, in der auf ihm aufgebaut wird.
Ein paar Zitate
„Kunst ist Diebstahl“ (Pablo Picasso)
„Unreife Dichter imitieren; reife Dichter stehlen; schlechte Dichter verunstalten, was sie nehmen, und gute Dichter machen es zu etwas hoffentlich Besserem.“ (T. S. Eliot)
„Die einzige Kunst, mit der ich mich beschäftige, ist die, bei der ich klauen kann“ (David Bowie)
Kommen wir zum Thema…
Was ist Klauen… und was ist Weiterentwickeln? Einflüsse verarbeiten, ausbauen und Eigenes draus machen? In dem Moment, in dem ich etwas herzeige, gebe ich es frei… Als Folie für die Weiterentwicklung durch andere. Aber auch durch mich selbst, denn ich „klaue“ ja immer wieder auch aus dem, was ich mir bereits erarbeitet habe. Ich entwickle es weiter. Im besten Fall verbessere ich es.
Bei der Imitation geht es ums Kopieren. Gehen wir also einmal davon aus, niemand „klaut“ bewusst. (Und wenn, dann ist das hier nicht mein Thema.) Also wann ist etwas Kopie… Und wann ist es letztlich inspiriert durch… ?
Bei der Inspiration geht es ums Finden, Einbeziehen und Weiterentwickeln von „Vor-Bildern“ zu etwas Eigenem. Nicht zuletzt deshalb betrachten wir ja Fotobücher und studieren die „Meister“. Nicht zuletzt deshalb schauen wir uns online Bilder anderer Fotografen an. Und: Jedes Bild, das wir betrachtet haben, hinterlässt seine Spuren in uns. Ob wir wollen oder nicht.
Und damit stellt sich die Frage, wann ist das eigene Foto – wenn auch „inspiriert durch“ – letztlich tatsächlich originär. Und wann ist es „nur abgekupfert“? Nur eine (schlechte) Kopie? Und wer erkennt das? Doch nur der, der die Anleihen und Bezüge zur Bildsprache anderer erkennt. Weil er nämlich auch die Quellen der Inspiration kennt. Aber wer hat da heutzutage noch den Überblick?
Und hier frage ich mich:
Gibt es überhaupt eine „originäre“ fotografische Sprache? Kann es die nach Jahrzehnten, in denen wir von Fotografien und Filmen umgeben sind und zunehmend von ihnen überschwemmt werden, überhaupt noch geben? Nichts ist heute noch neu… Folgt nicht alles nur dem, was es vorher schon gab? Nur dass wir mitunter die existierenden Referenzen, aus denen es sich speist, gar nicht mehr erinnern oder überhaupt kennen?
Können wir uns der bewusst oder unterbewusst eingefangenen Bilder eigentlich erwehren? Manches inspiriert uns und wir erproben es oder übernehmen es in unserer fotografischen Praxis oder Technik… Probieren es auch einmal… Probieren es mal auch so… Probieren es mal etwas anders.. Aber alle unsere Versuche sind doch stets gespeist mit unseren ansonsten vorhandenen Erfahrungen und Zugängen bei der Komposition eines Fotos.
Im Grunde genommen ist jedes neue Foto ein Remix aus unseren vorherigen Fotos. Und zwar aus den Fotos, die an uns vorbeigezogen sind beim Scrollen durch Social Media. Aber auch aus den Fotos, die wir irgendwann einmal genau betrachtet haben. Deshalb gehen wir in Ausstellungen. Deshalb stellen wir weitere Bildbände in unsere Bücherregale.
Was Motive anbelangt…
Es gibt wohl inzwischen nichts, was nicht schon einmal von anderen – auch ähnlich, oft besser – fotografiert worden ist. Bei der Streetfotografie spielt der unwiederbringliche Moment im Geschehen eine Rolle, wenn auch die Blickrichtung und Bildsprache ähnliche sein mögen. Bei (Stadt)Landschaften, die eher statisch sind (abgesehen von Jahres- oder Tageszeiten mit ihren spezifischen Lichtsituationen) sind vergleichbare Zugänge an einen Spot schon wahrscheinlicher. Wenngleich auch hier Brennweite, Kameraeinstellungen (und mitunter auch die Kamera) das jeweilige Bild zum Unikat machen.
Es gibt Orte, da springen bestimmte Blickwinkel förmlich in den Sucher… Und ja, das kann zu ähnlichen Bildern führen. Zu unterschiedlichen Zeiten unabhängig voneinander aufgenommen.
Und ja, meist sehen 3 Fotografen vom selben Standpunkt aus unterschiedliche Motive und gestalten völlig unterschiedliche Bilder. Mitunter aber auch nicht. Und doch haben sie alle in sich in ihrem individuellen Bildgedächtnis eine Sichtweise und Bildsprache abgespeichert. Eine Sichtweise, die sie aus sich selbst, aber eben auch von anderen Fotografen, entwickelt haben. Und auf dieser Sichtweise bauen sie ihre eigene Komposition mit ihrem fotografischen Blick und ihrer ästhetischen Zugangsweise auf. Und zwar jeweils zu dem jeweiligen Zeitpunkt. Denn das kollektive wie auch das individuelle Bildgedächtnis bekommt täglich neuen Zulauf.
Das Foto, das du heute machst, bist auch du heute…
Vorbilder, denen wir nacheifern, haben wir alle. Mitunter wechseln sie, mitunter kommen neue hinzu. Ähnliche Bildsprachen finden sich unter Fotografen auch. Und trotzdem bin ich bei Wolfgang Tillmann, der einmal sagte „Eine Fotografie erzählt vor allem etwas über die Person, die das Bild gemacht hat, völlig unabhängig davon, was auf dem Bild zu sehen ist.“
Authentizität und Originalität
Wann ist ein Bild wirklich authentisch? Also nicht durch andere Bilder inspiriert?
Wir sind beeinflusst von früheren und von aktuellen Impulsen. Das sind Bücher, die wir lesen. Das sind Bilder, die wir betrachten. Das sind Gespräche, die wir führen und Begegnungen, die wir haben. Das sind Beobachtungen, die wir machen. Wir erfahren Inspiration durch Gemälde von Edward Hopper, durch Fotografien von William Eggleston, durch die Zusammenarbeit mit anderen Fotografen. Man kann auch sagen, bei manchen unserer Bildern haben viele Maler und Fotografen Pate gestanden.
Dabei geht es immer um das Weiterentwickeln. Das Anreichern der Inspirationen mit Eigenem. Und das erfordert viele Schritte bis das Eigene wirklich deutlich zum Vorschein treten kann. Aus dem Fundus des Bildgedächtnisses schälen wir von Tag zu Tag das Eigene mehr hervor. Und manchen großartigen Fotografinnen und Fotografen gelingt das in herausragender Weise.
Um zu beurteilen, ob wir etwas Originales geschaffen haben, müssten wir alles kennen, was je veröffentlicht wurde. Aber wenn wir das Gefühl haben, dass dieses Bild derzeit das ist, was wir machen wollten, und dass es das beinhaltet, was wir mit ihm sagen wollten… ja, dann ist es allemal authentisch. Und zwar für uns. Wenn dann jemand kommt und sagt, hey, das hab ich auch schon mal fotografiert. Gut und schön. Aber ich hab es so gesehen und so fotografiert. Ohne deins bewusst gekannt zu haben (für das Unbewusste kann man keine Gewähr geben).
Abschließend
Wer etwas herzeigt, der will, dass es wahrgenommen wird. Damit geht es ins Bildgedächtnis der Betrachter ein. Ob und wie es dort verankert und weiterverarbeitet wird – das liegt nicht mehr im Einflussbereich dessen, der ein Bild veröffentlicht. Das Bild geht seinen Weg. Seinen Weg in der Bilderflut. In der wird es wahrgenommen – oder auch nicht.
Mit diesen Gedanken bin ich im Moment noch nicht fertig. Mit Gedanken ist man schließlich nie fertig. Also: Will be continued…
Was meint Ihr?
Unfinished thoughts…
A few thoughts about seeing pictures, reading pictures and rating pictures in our Instagram society…
Do we actually still look at photos… that is, do we take a closer look at these two-dimensional images of reality that they present to us? Do we think about what an image wants to show and tell us? Are we looking at the subject chosen by the photographer and the composition with which he framed it? Let’s ask ourselves why this picture was taken this way and not another way? Do we let our gaze wander within the frame?
Or do we just react to what is depicted in the photo and the particular edit used to shape it without further and closer inspection? Moody mood, lonely street, one or more people… black silhouette in fine light in front of a yellow wall… strong black and white contrast with a graphic impression of the backdrop in front of which a person is posing… Nice picture, pleasant to look at… and scroll on to the next picture…
Do these images that we see as good, exciting, interesting or worth imitating and whose creators we give confirmation of their photographic work with our likes, actually stick in our image memory?
Or do we react reflexively to the respective scene depicted (familiar or unknown, both equally attractive), the respective location depicted (familiar or unknown, here too both equally attractive)? The Eiffel Tower, the Berlin TV Tower, the Brooklyn Bridge… how beautiful, I know that… I was there once or I always wanted to go there… and keep scrolling… Is it the motifs depicted and their accessibility or inaccessibility that are the attraction or is it precisely this specific view of the photographer that captivates us?
And what does this do to our photography? Do we photograph similar things, even pleasing things… Do we also edit moody or b&w in high contrast… because everyone is doing it right now? Do we also travel to the places that offer certain spots in order to photograph these spots (again)?
Another question:
What actually speaks to us in a photo that we look at? Its content, its message, the puzzles it poses? And what else appeals to us about a photo? The chosen composition in connection with the edit?
Or do we not really look at it at all, but only at the packaging, the surface design in which a shot is presented to us? I ask myself more and more often: What actually makes a picture a good picture?
And I ask myself more and more often: The picture appeals to me because of the color… but wait a minute, it has no content (apart from the fact that something is depicted)? What does it actually want to say?
Follow-up question:
And I ask myself more and more often: Are we actually looking? Do we actually still read pictures? Are we looking at them? Or do we just scan them cursorily?
Next step:
And of course I ask myself: Which images do we actually think are worth showing? But that is another chapter. Thoughts on that another time…
What do you think?
Habe nur ich das bislang so gesehen? Mit Sicherheit nicht…
